Unser Briefträger
Ach, wenn ich mir doch nur leichter Namen merken könnte! Wenn ich mir ein Talent wünschen dürfte, dann wär´s das: ein Gesicht und dazu den Namen parat.
Mich beeindruckt es immer sehr, wenn mich Menschen mit meinem (richtigen) Namen ansprechen… wie eine kurze, innige Liebkosung.
Dazu eine Geschichte der Schriftstellerin Elke Heidenreich:
Unser neuer Briefträger begegnete mir auf der Straße. Er ist sympatisch, abgeklärt, alt und raucht auf dem Fahrrad. Ich stelle mich vor, ich bin die mit der vielen Post. Er sagt seinen Namen: Wojciechowski, er grinst und buchstabiert.
Ich sage: Aha! und verabschiede mich schnell, denn ich will mir unbedingt den Namen merken.
Bis zu meiner Haustüre murmele ich ihn vor mich hin. Wojciechowski, Wojciechowski. Ich grüße die Nachbarin nur flüchtig, Wojciechowski, ich darf das nicht vergessen. Zu Hause notiere ich den Namen und hefte ihn an mein schwarzes Brett und vergesse ihn sofort.
Zu Weihnachten stecke ich eine Karte mit Dank und zwanzig Euro in einen Umschlag, den ich an den Briefkasten klebe. „Für Herrn Wojciechowski“ steht drauf.
Es klingelt. Der Briefträger bedankt sich und ich sage: „Das ist doch selbstverständlich“. „Nein“, sagt er „dass Sie sich meinen Namen gemerkt haben, das hat in all den Jahren noch keiner“. „Ich bitte Sie“ sage ich, „ich arbeite ja, wie Sie wissen, mit Wörtern, mit Büchern, da ist das doch ein Kinderspiel!“
„Trotzdem“ sagt er und geht.
Ich schließe die Tür und denke: wie heißt er gleich? Und schau aufs schwarze Brett.
(aus „Alles kein Zufall“ von Elke Heidenreich, 2016)