Fastenzeit für Späteinsteiger
Seid ihr schon gut in der Fastenzeit angekommen? Oder gehört ihr zur Gruppe derer die sagen- ich lebe eh das ganze Jahr besonnen?
In der letzten Woche habe ich viele Menschen nach ihrem Ansatz gefragt. Da kommen Ideen von großen Vorhaben und auch kleinere Vorsätze zum Tragen. Und wie gut das tut, sich einmal von liebgewonnenen Gewohnheiten zu lösen und den Alltag neu zu gestalten.
Besonders hat mich die Fastenbegleitung des Katholischen Familienverbandes Tirol angesprochen:
Brauchen wir was wir haben? Haben wir was wir brauchen? Da muss man gar nicht sehr katholisch sein, um diese täglichen Impulse als nützlich zu empfinden. Dazu der Link:
Haben wir, was wir brauchen? | fastenzeit.jetzt
Dazu gab es auch ein Interview mit der Musikerin Julia Moretti. Das Bild von Julia Moretti hat Inge Prader gemacht.
Der Familienverband hat uns gestattet, das Interview, das Armin Staffler mit ihr führte, auf unserem Blog zu posten.
Danke an Richard Kleissner.
Habt Freude und eine gute Innenschau!
A: Liebe Julia, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, um mit mir über die „Aktion plusminus“ zu reden. Wir treffen uns heute nach den Festtagen und zu Beginn der Faschingszeit. Die Fastenzeit ist noch fern. Was sagt Dir persönlich das Motto der Aktion „Brauchen wir, was wir haben? Haben wir, was wir brauchen?“
J: Danke Dir und danke allen für diese wichtige Aktion mit ihren Impulsen. Für mich öffnen sich da gleich zwei weitere Fragen: „Was brauche ich?“ und „Was habe ich?“ Die erste Frage ist eine Besinnung auf das Wesentliche. Dazu gehören Gesundheit und ein Gefühl der Dankbarkeit, das soziale Miteinander, der Frieden und die Freiheit, in der wir leben dürfen. Freiheit – ein großes Thema – heißt für mich in diesem Zusammenhang, wählen und mitentscheiden zu können. Wir leben in einem System, das es gut mit uns meint, mit Werten, die für die Gemeinschaft förderlich sind.
A: Und was sagt Dir die zweite Frage?
J: Bunt und erfüllt zu leben, bedeutet für mich vor allem, gute Beziehungen, zu anderen Menschen und zur Natur zu haben. Die Natur ist die Schöpfung und ohne Bezug zur Schöpfung bin ich „er-schöpft“.
A: Du hattest vor nicht allzu langer Zeit einen sehr schweren Unfall. Hat sich dadurch für Dich etwas im Hinblick auf „Gesundheit und Dankbarkeit“ als etwas, das wir brauchen, geändert?
J: Ich habe Selbstverständlichkeiten hinterfragt. Wenn Gehen und Atmen nicht mehr schmerzfrei möglich sind, dann wächst die Dankbarkeit, wenn es wieder geht. Oder einfach radlfahren. Nicht mehr wie früher, aber fast wieder wie früher. Der Tag des Unfalls war in gewisser Weise der schönste Tag meines Lebens, weil ich so viel Glück gehabt habe.
A: Das ist eine Entscheidung, so einen Unfall als Glück zu verstehen?
J: Ja.
A: Haben wir genug Dankbarkeit in unserer Gesellschaft? Was fehlt uns, wovon haben wir zu wenig?
J: Wir können als Gesellschaft nicht immer nur „Gas geben“. Es tut uns, glaube ich, gut, immer wieder die „Kupplung“ zu betätigen und innezuhalten. Genau darum geht es bei der Aktion plusminus und darum unterstütze ich sie gern. Es geht darum, mehr aufeinander achtzugeben, auch in unseren Beziehungen. Das geht auch mitten in einem Gespräch. Ein kurzes Innehalten, das bedeutet, Zeit für Richtungsentscheidungen zu gewinnen. Dann sind wir auch Kapitän*innen und nicht nur Passagier*innen. Beim Konsum bin ich nur Passagier*in. Die Algorithmen kennen uns teilweise besser als wir uns selbst. Sie entscheiden für uns und wir werden zu Mitfahrer*innen statt selbst zu entscheiden.
A: Wir können im Innehalten entscheiden, ob wir wieder und wofür wir Gas geben oder ob wir bremsen wollen.
J: Wir brauchen Zäsuren, quasi Rhythmuswechsel. Nach dem Vielen, den Geschenken, den Süßigkeiten und auch den vielen Begegnungen brauchen wir eine Pause. Da ist es gut, wenn es Unterstützung von außen, z.B. durch die Aktion plusminus gibt.
A: Was ist das Gute an Zäsuren, aus Deiner Erfahrung?
J: Es geht nicht um Verbote oder den Zwang zum Verzicht im althergebrachten Sinn. Es geht darum, sich selber besser kennenzulernen und sich nicht etwas zu nehmen, sondern sich etwas zu geben.
A: Was gibst Du Dir?
J: Ich gebe mir Zeit und wertvolle Momente, mich und meine Routine zu hinterfragen. Es ist die Haltung, nicht verzichten zu müssen, sondern Ballast abzuwerfen. Somit lerne ich mich besser kennen und kann „die Schokolade“ vielleicht auch jemandem anderen schenken. Es ist ein „dafür“ und kein „dagegen“.
A: Hast du konkrete Erfahrungen damit, etwas bewusst anders zu machen?
J: Es gab eine Zeit, da habe ich meinen Zuckerkonsum auf fast Null abgesenkt. Über die Fastenzeit hinaus wurde daraus ein halbes Jahr. Ich war einfach noch nicht fertig. Das war ein Impuls, der über Ostern hinausgeführt hat. „Ostern“ heißt ja nicht, dass es danach so weitergeht wie vor der Fastenzeit.
A: Du bist ein Familienmensch. Wie ging es Deiner Familie damit?
J: Die hat das nicht gespürt. Aber bei mir entstand ein Flow. Es gibt genug anderes Süßes im Leben! (lacht)
A: Was kann die Fastenzeit für die Familie bedeuten? Kannst Du Dir vorstellen, ein „Fastenprojekt“ in der Familie durchzuführen?
J: Ich werde die Fragen der Aktion plusminus sicher mal am Esstisch stellen. „Brauchen wir, was wir haben? Haben wir, was wir brauchen?“ Sie eröffnen auch immer einen neuen Bezug, in jeder Beziehung, auch in der Partnerschaft. „Hast du das, was du (von mir) brauchst?“ Diese Fragen passen für alle, für Jung und Alt. Sie können das Gespräch leiten, sie sind mehr als „Wie war Dein Tag?“. Gerade viele aus der Generation der jungen Erwachsenen sind sehr offen dafür, sich zu reduzieren, sich für ein neues Miteinander einzusetzen, nachhaltig im Blick die nächsten Generationen zu leben.
A: Bei mir schwingt noch ganz stark nach, dass Du dafür plädierst, dass wir mehr Dankbarkeit brauchen. Wovon brauchen wir weniger?
J: (denkt lange nach) Meist ist jeder Bereich, jeder Impuls an und für sich gut, wir neigen nur dazu, uns zu überfordern. Wenn ich in einem Orchester alle Melodien, alle Akkorde gleichzeitig spiele, dann herrscht pures Chaos. Wir dürfen wählen. Es darf weniger vom „Getriebensein“ sein.
A: Julia, vielen lieben Dank für das Gespräch und alles Gute!
J: Danke auch und Danke auch für die Aktion.